Systemisches Konsensieren strebt bei Entscheidungsprozessen in Gruppen eine einvernehmliche Entscheidung zwischen allen Beteiligten an. »Konsensieren« ist ein von »Konsens« abgeleitetes Kunstwort. Konsens bedeutet die übereinstimmende Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage. Systemisches Konsensieren bezeichnet somit den Prozess, mit dem man einem solchen Konsens möglichst nahe kommen will.

Einführung

SK-Prinzip

Die Gruppe nützt den vorhandenen Dissens, um möglichst viele Lösungsvorschläge zu entwickeln, und wählt dann jenen aus, der in der Gruppe insgesamt den geringsten Widerstand erzeugt.

Der Prozess, um mithilfe des SK-Prinzips zu einem Entscheid zu gelangen heißt „Systemisches Konsensieren“.

Konsensnahe Lösung im Unterschied zum Konsens

Laut Definition bedeutet Konsens Einwilligung und Zustimmung. Er geht auf das lateinische “sentire” zurück, was sowohl “fühlen, empfinden” als auch “meinen, denken, Einsicht haben” bedeutet. Ein Konsens entsteht, wenn alle Gruppenmitglieder Einigkeit über die Übereinstimmung ihrer Meinungen erzielt haben. Ein solcher Konsens, also eine völlige Einigkeit oder Übereinstimmung, ist jedoch in großen Gruppen aufgrund der Diversität ihrer Mitglieder in der Praxis kaum zu erreichen. Deshalb wird beim "Systemischen Konsensieren" eine "konsensnahe Lösung" bzw. Entscheidung gefunden. Die Lösung gegen die es in der betroffenen Gruppe die wenigsten Einwände gibt und die somit in der betroffenen Gruppe auf den geringsten Widerstand trifft. Damit hat die Lösung die größte Akzeptanz.

Die Schwächen klassischer demokratischer Abstimmungen

Die meisten von uns kennen lediglich das klassische Abstimmen über einen Vorschlag nach dem Prinzip: Ja / Nein / Enthaltung. Dies entspricht unserem bisherigen Verständnis von demokratischen Entscheidungen. Nach diesem Prinzip werden in nahezu in allen Bereichen unseres Lebens Entscheidungen getroffen, sofern nicht autoritär entschieden wird. Solche Mehrheitsentscheidungen werden jedoch nur selten den Wünschen, Bedürfnissen und Zielen der Mehrheit wirklich gerecht. Denn nur weil eine einfache oder relative Mehrheit für etwas ist, bedeutet das noch lange nicht, dass eine größtmögliche Mehrheit mit dieser Lösung bzw. Entscheidung auch gut zurechtkommt. Dieser Konflikt wird in diesem Video anhand eines bewusst simpel gewählten Fallbeispiels sehr anschaulich erklärt. Eine weitere Schwäche des klassischen Abstimmungsverfahrens liegt darin, dass eine Fülle von möglichen Lösungsansätzen bereits im Vorfeld (auf unterschiedlichen Wegen) auf einen einzigen zur Abstimmung stehenden Vorschlag reduziert wurden, ohne dabei zu berücksichtigen, wie viele am Ende die Entscheidung wirklich mittragen. Nicht selten führt der Widerstand der in der Abstimmung unterlegenen Minderheit dazu, dass die Entscheidung durch Verweigerung oder Sabotage konterkariert und die angestrebte Lösung somit nie erreicht wird.

Ziel des Systemischen Konsensierens (SK)

In einer guten Entscheidung steckt eine enorme Kraft. Eine gute Entscheidung löst Konflikte, ohne neue zu verursachen. Eine gute Entscheidungsfindung nutzt die Schwarmintelligenz, also das Potential, das in jeder größeren Gruppe steckt, indem sie alle Betroffenen mitnimmt und jeden Einzelnen Verantwortung übernehmen lässt. Hinter einer guten Entscheidung steckt nicht nur Lösung A oder B, sondern die bestmögliche Lösung, die aus der Vielfalt aller Lösungsvorschläge der Betroffenen entspringt. Die Methode »Systemisches Konsensieren« will in einem fairen Verfahren für alle Entscheidungen erreichen, die mit größstmöglicher Akzeptanz von allen (mit-)getragen werden können - eben basisdemokratische Entscheidungen. Das Systemische Konsensieren ist nicht nur eine Abstimmungsmethode sondern ein Methodenkoffer. Die einzelnen Prozesschritte bieten einen roten Faden vom Beginn des Entscheids (Thema / Problem / Fragestellung) über das Sammeln der Wünsche, die Vorschlagsentwicklung, geleitete Diskussion usw. bis hin zum Entscheid.

Der Mehrwert des Systemischen Konsensierens

Die „gute Entscheidung“ ist weder primäres noch einziges Ergebnis der SK-Methode. Wird sie in einer Gruppe benutzt, fördert sie fast automatisch das kollaborative Miteinander. Konkret wird beispielsweise das „Nein“ eines Einzelnen respektiert und wertgeschätzt. Denn in diesem „Nein“ steckt häufig eine neue Lösung, an die bisher vielleicht noch gar nicht gedacht wurde. Da beim Systemischen Konsensieren unterschiedliche Meinungen in ihrer Vielfalt akzeptiert werden, bleiben Gruppen auch in komplexen Situationen handlungsfähig. Und zwar nicht, weil eine Einzelperson die Führung übernimmt, sondern weil die Gruppe gemeinsam nach einer Lösung sucht, die am wenigsten abgelehnt wird und damit die größte Akzeptanz erfährt. Zudem kann der Entscheidungsprozess nicht durch ein Veto -wie bei der Suche nach einem Konans- blockiert werden.

Die Entstehungsgeschichte des systemischen Konsensierens

→ siehe hier

Die Methode

Die Methode im Überblick

Die SK-Methode gliedert sich grob in folgende Teilprozesse:

  1. Problem / Aufgabe
    Unmissverständliche Formulierung des gemeinsamen Problems / der gemeinsamen Aufgabe
  2. Info-Runde (optional, je nach Komplexität)
    Alle Beteiligten erhalten die Möglichkeit, weitere Informationen zu erhalten bzw. einzuholen, um ein klares Bild zu bekommen.
    Im Basisdemokratischen Prozess: »Informationsbeschaffung«
  3. Meinungs-Runde (optional, je nach Komplexität)
    Alle beteiligten erhalten die Möglichkeit, bereits jetzt, also noch bevor Lösungsvorschläge gemacht werden, ihre persönliche Meinung zu äußern.
    Im Basisdemokratischen Prozess: »Meinungsbildung / Raum für Debatten«
  4. Geeignete ffene Fragestellung: Eine Fraegstellung zum Problem / zur Aufgabe, auf die eine Antwort gefunden werden soll. Offen genug, um kreativ zu werden, konkret genug, um das Problem anzugehen und lösungsorientiert (statt ursachenorientiert). Fragen, die mit W-Fragewort beginnen z.B.: Wer, Wann, Wie, Womit, Wozu.
  5. Wünsche an eine gute Lösung: Sammlung der Wünsche, Anliegen und Bedürfnisse, die die Betroffenen mit der Lösung des Problems erfüllt haben wollen.
  6. Lösungsvorschläge
    „Aufmachen“: Entwicklung möglichst vieler Vorschläge sowie Ergänzung eines speziellen „Lösungsvorschlags“, der sogenannten „Passivlösung“, die besagt, dass sich nichts ändern und alles so bleiben soll, wie es ist.
    Im Basisdemokratischen Prozess: »Lösungsfindung«
  7. Ergebnisoffene, jedoch zeitlich befristete Diskussion
    „Raum geben“: Der „Schwarm“ diskutiert zu jedem Vorschlag die Pros und Kontras
    Im Basisdemokratischen Prozess: »Lösungsbewertung«
  8. Vorläufige Widerstandsmessung: Einzelbewertung nach Widerstand (optional, je nach Komplexität)
    Erste Rückmeldung zu den Lösungsvorschlägen. Daraus resultierend Anpassung und/oder Erweiterung der Lösungsvorschläge
    Im Basisdemokratischen Prozess: »Abstimmung ggfs. Revision → zurück zum Lösungsprozess«
  9. Endgültige Widerstandsmessung: Einzelbewertung nach Widerstand
    „Zumachen“: Jeder Vorschlag wird von allen Beteiligten individuell bewertet
    Im Basisdemokratischen Prozess: »Revision und erneute Abstimmung«
  10. Reihung nach Gesamtwiderstand
    „Auf den Punkt kommen“: Der Gruppenwiderstand wird errechnet. Der Vorschlag mit dem geringsten Gruppenwiderstand kommt dem Konsens am nächsten.

Weitere wichtige Komponenten sind z.B. die Einwandfrage, die Behandlung von Unmut oder Prozessvorschläge.

SK und die 4 Säulen der Basis

Das Systemische Konsensieren ist ein elementarer Baustein auf dem Weg zu echter Basisdemokratie. Das SK kann jedoch im politischen Umfeld nur dann zu einer Erfolgsgeschichte werden, wenn bei der Ausführung und technischen Umsetzung wichtige zwingende Anforderungen erfüllt werden.

∎ Freiheit

Die am Beginn einer jeden Systemischen Konsensierung stehende Frage- oder Problemstellung darf niemals eine (von wem auch immer) bevorzugte Lösung beinhalten. Jeder Betroffene hat die Freiheit, völlig ergebnisoffen seinen eigenen Lösungsvorschlag einzubringen. Eine wie auch immer geartete „Zensur“ von Lösungsvorschlägen ist methodisch wie technisch konsequent zu unterbinden.

∎ Machtbegrenzung

Jede Form von Manipulation der politischen Entscheidungen durch einzelne Personen oder spezielle Interessensgruppen (wir kennen das als »Lobbyismus«) ist konsequent zu unterbinden. Deshalb muss sichergestellt werden, dass der komplette Prozess für jedermann transparent ist. Transparenz ist regelmäßig dann nicht gegeben, wenn Teile des Prozesses „hinter verschlossenen Türen“ (z.B. in nichtöffentlichen Vorstandssitzungen) ablaufen, oder Betroffenen der Einblick auf Teile des Prozessablaufs verwehrt wird.

∎ Achtsamkeit

Alle möglichen Lösungsvorschläge sind absolut gleichberechtigt. Die Achtsamkeit gegenüber jedem Einzelnen verbietet deshalb die Bewertung oder Beurteilung von Lösungsvorschlägen durch einzelne Personen oder spezielle Interessensgruppen. Eine Bewertung und Beurteilung findet ausschließlich durch Widerstandsmessung statt, in der jeder einzelne Teilnehmer seinen persönlichen und damit subjektiven Widerstand gegen jeden Lösungsvorschlag beziffert.

∎ Schwarmintelligenz

Es entspricht unserer Säule der Schwarmintelligenz, im Rahmen der Systemischen Konsensierung zunächst völlig unvoreingenommen möglichst viele konstruktive Lösungsvorschläge zuzulassen und diese wohlwollend im Schwarm zu diskutieren. Denn je größer der Schwarm, desto größer die Chance, einer Ideallösung am nächsten zu kommen.

Systemisches Konsensieren im Schwarm

Methode

dieBasis erhebt für sich den Anspruch, basisdemokratisch zu sein und die Schwarmintelligenz zur Basis politischer Entscheidungen und Weichenstellungen zu machen. Während sie hierfür jedoch zwingend ein reibungslos funktionierendes Verfahren benötigt, mit dem die SK-Methode in und mit sehr großen und zunehmend größeren Gruppen (KV → LV → alle Mitglieder → alle Wahlberechtigten → alle Bürger) durchgeführt werden kann, ist ein solches Verfahren derzeit (Stand Juli 2021) noch nicht etabliert, weil weder getestet noch praxiserprobt und somit eben auch noch nicht bewährt.

Zusammenspiel mit dem Basisdemokratischen Entscheidungsprozess (BEP)

Für den übergeordneten Basisdemokratischen Entscheidungsprozess (BEP), wie er von der AG Schwarmprozesse entwickelt wird, ist das SK im Schwarm zwar elementarer Teil. Weitere wichtige Aspekte desselben wie z.B. den Ideen-Antrags-Eingang, das Annahme-Verfahren oder die Prüfung auf Redundanz deckt das SK jedoch nicht ab (siehe Grafiken rechts). In welcher Detailtiefe dieser Prozess inzwischen beschrieben ist, lässt die entsprechende Wiki-Seite offen.

Ziele des Basisdemokratischen Entscheidungsprozesses.jpg
Basisdemokratischer Entscheidungsprozess - Begrifflichkeiten und Zusammenhänge.jpg

Einsatz von IT-gestützen Tools

Während – wie oben beschrieben – weder für das SK noch für den BEP ein praxiserprobtes und bewährtes Verfahren existiert, gibt es bereits etliche Bestrebungen auf IT-technischer Ebene, Systemische Konsensierungen mit Hilfe von Tools massentauglich zu machen. Inwieweit diese alle oben beschriebenen Prozessschritte der SK-Methode abbilden können ist derzeit unklar. Es besteht jedoch der dringende Verdacht, dass zumindest die aus Sicht der Basisdemokratie elementaren Prozessschritte 1-6 durch die erwähnten IT-Tools gar nicht abgedeckt werden.


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